Rollstuhltanz

Unbehindert Tanzen

Der folgende Textabschnitt entstand im Rahmen eines Artikels, erschienen in der Zeitschift „B-KIDS – Journal für junge Körperbehinderte und Ihr Umfeld“. Wir danken dem Autor, Herrn Reinhard Wylegalla, und der „HUMANIS Verlag GmbH“ (Abotelefon: 0 62 43 / 900 704) für die freundliche Genehmigung, den Artikel und die im Zuge der Recherche entstandenen Bilder hier veröffentlichen zu dürfen.

Duo-Tanzen: Spaß und Fitness

„Es ist nicht immer einfach, den Tanzsport im Rollstuhl mit dem Beruf zu vereinbaren“, räumen die beiden ehrgeizigen Chemnitzerinnen ein. Für die 27-jährige Sandra und die 19-jährige Vicky ist zwar in erster Linie das Dabeisein alles. Doch schließt das olympische Motto ja nicht aus, dass sie ihre Leistungen steigern: „Es wäre schön, wenn wir irgendwann einmal Gold hoffen könnten“, gibt Sandra zu. Deswegen trainieren die beiden jungen Frauen nach Möglichkeit zweimal in der Woche langsamen Walzer und Tango, Jive, Cha-Cha, Paso doble und all die anderen Tänze des Welttanzprogramms. In den allermeisten Rollstuhltanzgruppen bewegen sich jeweils ein Fußgänger und ein Rollifahrer als Paar zur Musik. Hier geht es aber um zwei Partner im Rollstuhl, das Duo-Tanzen. Sandra ist seit frühester Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen und gewissermaßen ein „Urgestein“ in der Tanzgruppe. Kurz nach der Gründung ging die Freizeit-AG für Duo-Tanz in Trägerschaft des Chemnitzer Behindertensport- und Freizeit-Vereins „ASCOTA e. V.“ (BFV Ascota Chemnitz e.V. – Anm. d. Red.) und seit 1995 unterrichtet Dr. Gunnar Lippmann aus Chemnitz, Tanzlehrer im ADTV und Tanzsporttrainer im DTV für Turnierpaare sowie Inhaber der Tanzschule Lippmann in Schneeberg, die Schüler zwischen elf und siebzehn Jahren. Dr. Lippmann: „Weil die Mobilität der Schüler zuweilen sehr unterschiedlich war, haben wir lange Zeit Formationstanz geübt, um alle Kinder einzubinden.“ Inzwischen sind Tänzer älterer Jahrgänge aus der Schule entlassen worden. Die Gruppe ist auf wenige Schüler geschrumpft. Mittlerweile ist auch Paartanz bei den Kindern angesagt. „Wir möchten aber aus den jüngeren Klassen wieder neue Teilnehmer hinzugewinnen“, so der Tanzlehrer.

Mobilitätsgrenzen erweitern

Nach dem Einstieg ins Berufsleben musste Sandra das Training zwar mehrfach unterbrechen, doch es habe sie immer wieder in die Gruppe zurückgezogen, berichtet die Rezeptionistin. Vor gut zwei Jahren kam Vicky, die inzwischen ein Berufsvorbereitungsjahr absoliviert, dazu. Weil beide tänzerisch sehr begabt sind und als Paar harmonieren, begannen sie sich schließlich auf die Teilnahme an Turnieren vorzubereiten. Dr. Lippmann: „Ich trainiere das Turnierpaar jeden Donnerstag vor Beginn des Gruppenunterrichts in der Schule. Danach tanzen Sandra und Vicky mit den jüngeren Schülern. Freitags nehmen sie im Chemnitzer Klinikum am Training einer freien Gruppe für Kombitanz, also Rollifahrer mit Fußgängern als Partner, teil.“ Den Übungsraum dafür stellt das Chemnitzer Klinikum zur Verfügung, die weiteren Kosten übernimmt die Chemnitzer Firma „Reha-aktiv GmbH“. Wie bei jedem Sport geht es auch beim Duo-Tanz nicht nur um Meistertitel, sondern in erster Linie um den Spaß an der Freude. Und ganz nebenbei tun die Tänzer auch noch etwas für ihren Körper: „Durch die rhythmische Bewegung werden die Koordinierung der Muskulatur, das Reaktionsvermögen und die Haltung geschult“, unterstreicht Dr. Lippmann. Die Musik rege manchen Schüler – oft ohne es bewusst wahrzunehmen – an, Mobilitätseinschränkungen zu überwinden.

Musik in Bewegung umsetzen

Zum Beispiel, wenn die Tänzer beim langsamen Walzer für eine Drehung im Dreivierteltakt die Räder wechselnd nach vorn und zurück bewegen wollen. Die Rumba wiederum ist eine „getanzte Liebeserklärung“. Geübte Tänzer können durchaus auch im Rolli den erotischen Charakter dieses aus Kuba stammenden Tanzes zum Ausdruck bringen. Es vergeht allerdings schon einige Zeit, bis beide Partner etwa für die „Promenade“ exakt zum Viervierteltakt ihre Rollis parallel nach vorwärts fahren, dabei graziös den äußeren Arm waagerecht und den Kopf aufrecht halten, anstatt kontrollierend auf den Boden zu schauen. Deshalb wird zu Beginn jeder Trainingsstunde das Fahren auf der Linie oder im Kreis geübt. Auch lernen die Tänzer sich auf unterschiedliche Partner einzustellen. In puncto Mobilität gibt es für die Teilnahme am Tanztraining keinerlei Einschränkungen. Sogar im E-Rolli sei rhythmische Bewegung möglich und überdies wünschenswert: „Es gibt die wildesten Spielarten. Letztendlich soll jeder Tänzer Spaß daran haben, im Rahmen seiner Möglichkeiten Musik in Bewegung umzusetzen und zuweilen auch zu improvisieren“, erläutert Dr. Lippmann. Bei Fußgängern sei das ja eigentlich gar nicht anders. Der Tanzlehrer selbst hat sich das Know-how für den Rollitanz autodidaktisch angeeignet, denn festgeschriebene Regeln gab es lange nicht und gegenwärtig werden sie weitergeschrieben. „Meine Mutter saß im Rollstuhl. Deshalb ist mir dieses Thema nicht fremd“, so Dr. Lippmann. Als er durch den Sportverein mit dem Training beauftragt wurde, überlegte er, welche Schritte sich wie in rhythmische Bewegungen auf vier Rädern umsetzen lassen. „Ich habe mich einfach selbst in einen Rollstuhl gesetzt und meine Idee ausprobiert.